Interview mit Martin Hoffmann
Wie sind Sie auf
die Geschichte des Dolpo Tulku und seiner Heimkehr gestoßen,
wie sind sie ihm begegnet?
Ich habe Dolpo Tulku 2007 während einer Urlaubsreise mit meiner
Familie in Südindien kennengelernt, im Kloster Namdroling. Auf
den ersten Blick war er ein ganz normaler Mönch unter tausenden
anderer. Er lud uns zum Saft in sein bescheidenes Appartement ein.
Und dort, auf den zweiten Blick, faszinierte er selbst unsere Tochter,
die die englische Übersetzung des Gesprächs nicht verstand:
Ein junger Mönch, der eben seine Ausbildung als einer der Jahrgangsbesten
abgeschlossen hatte, der einerseits fröhlich war und pausenlos
per SMS kommunizierte, der aber andererseits sehr offen von seiner
besonderen Situation und den damit verbundenen Ängsten sprach.
Er erzählte, dass er eine hochrangige Wiedergeburt sei und bald
sein Amt des Tulku antreten werde – und dass er noch nicht
wisse, wie er dieser Verantwortung gerecht werden könne.
Mich haben seine Person und seine Geschichte – auch die Idee
einer Religion, Autorität und Wissen durch Wiedergeburt weiterzugeben – sofort
in Bann gezogen. Einige Tage später habe ich ihn per SMS gebeten,
darüber nachzudenken, ob ich seine Rückkehr in das Dolpo
für einen Film begleiten dürfe. Er hat dann auf seine ganz
eigene Art und Weise darauf reagiert: Er mailte mir ein Foto von
uns, das er während unseres Besuchs in seinem Kloster mit Selbstauslöser
gemacht hat. Damit war seine Bereitschaft kommuniziert.
Wie ist es Ihnen gelungen, eine
Drehgenehmigung für die buddhistischen
Klöster in Südindien zu bekommen?
Wir mussten im Kloster Namdroling lange
und behutsam für unser
Vorhaben werben. Es ist eine abgeschottete Welt dort, und man hatte
hatte in der Vergangenheit einige Male schlechte Erfahrungen mit
Filmbeiträgen über die Klöster in Bylakuppe gemacht.
Aber nach einigen Monaten und sicher auch durch die Fürsprüche
von Tulku bekamen wir schließlich grünes Licht. Unser
Antrittsbesuch im Sekretariat bei Penor Rinpoche war dann nur noch
eine erwartete Höflichkeitsgeste.
Eine offizielle Besuchserlaubnis musste
darüberhinaus im Innenministerium
in Delhi beantragt werden, die Bearbeitung hat acht Monate gedauert.
Zusätzlich wurden wir am Abend des ersten Drehtags auf die Polizeistation
nach Kushnalgar zitiert. Nach dreistündiger Wartezeit und Einzelgesprächen
mit dem Dienststellenleiter wurden dann unsere Fingerabdrücke
genommen. Wir haben nie erfahren, warum.
Wieviel Zeit hatten Sie zur Verfügung,
um nach der Begegnung mit dem Dolpo Tulku das Projekt vorzubereiten?
Zwischen dem ersten Treffen mit Dolpo Tulku
und seiner angekündigten
Heimkehr in den Himalaya lagen etwa 15 Monate. Diese Zeit war eher
knapp, um das Projekt zuverlässig vorzubereiten. Nach der Regierungsbeteiligung
der Maoisten in Nepal wurden die Vorschriften für Filmarbeiten
in bestimmten Teilen des Himalayas nochmals verschärft. Zusätzlich
zu den für das Dolpo ohnehin vergleichsweise teuren Trekking-
und Drehgenehmigungsgebühren mussten nun auch „Verbindungsoffiziere“ aus
drei verschiedenen Ministerien zum Dreh mitgenommen werden. Das bedeutete
unter anderem, dass wir für die drei Beamten zusätzlich
Verpflegung, Zelte und dafür auch wieder zusätzliche Träger
einplanen mussten. Als wir dann im Dolpo waren, hat sich übrigens
keiner mehr wirklich für uns interessiert, außer einem
Checkpoint kurz hinter dem Flughafen in Dunai gibt es keine wirkliche
staatliche Präsenz in der Region.
Über den Stand unserer Vorbereitungen haben Tulku und ich uns
regelmäßig per E-mail ausgetauscht, gleichzeitig stand
er im Kontakt mit den Menschen im Dolpo. Im Frühjahr kam dann
aus dem Dolpo die Bitte, früher als ursprünglich geplant
zu kommen, damit die Inthronisationsfeierlichkeiten nicht mit der
Erntezeit zusammenfallen. Das hieß für, dass wir kurzfristig
unsere Abreise um sechs Wochen vorziehen und uns auf schlechtes Wetter
im Himalaya einstellen mussten – die Drehzeit fiel nun in die
Monsunperiode.
Hatten Sie bereits Erfahrungen mit dem
Drehen im Hochgebirge? Was waren die besonderen Herausforderungen
der Vorbereitung?
Wir hatten schon in den Anden und in Ladakh
in Höhen oberhalb
von 4.000 Metern gedreht. Allerdings waren dort jeweils höchstens
halbtägige Wanderungen vom Auto zum Drehort nötig. Das
Entscheidende bei diesem Films lag darin, eine lange Produktionszeit
in einer Gegend ohne jegliche Infrastruktur zu planen: zwei Monate
ohne Strom, ohne Telefon, ohne medizinische Versorgung und ohne irgendeine
Möglichkeit, etwas zu kaufen – immer mit der Notwendigkeit,
die gesamte Ausrüstung mit uns zu führen. Wir haben uns
deshalb bei der Ausrüstung auf das Allernötigste beschränkt,
das aber jeweils doppelt eingepackt. Ebenso waren alle Funktionen
im Team doppelt vertreten. Natürlich hat auch jeder vorher privat
etwas mehr Sport gemacht als vor einem Dreh im Bundestag...
Als wir dann in Dunai im Unteren Dolpo aufgebrochen
sind, wurde mir die Dimension unserer Produktion erst richtig bewusst.
Wir hatten
alles gut geplant, das Privatgepäck auf das Allernotwendigste
beschränkt, für das technische Equipment raum- und gewichtssparende
Lösungen gefunden – und nun standen wir vor einer Karawane
mit 30 Leuten und 19 Maultieren. Denn tatsächlich mussten wir
alles zur Selbstversorgung mitnehmen, Medikamente, Lebensmittel,
Mehl, Reis, Nudeln, Kartoffeln, Konserven, Kerosin zum Kochen, Benzin
für den Generator – für einen Zeitraum von acht Wochen.
Neben unserer Karawane gab es den Tross
des Dolpo Tulku, der von 30 Dolpo-stämmigen Mönchen und Nonnen aus Südindien
begleitet wurde. Etliche davon waren schon lange vorher aus Indien
aufgebrochen, weil sie sich keinen Flug leisten konnten. In Dunai
haben sie dann auf Tulku gewartet.
Folgte die Reise einem festen Zeitplan
oder wurde von Tag zu Tag disponiert und entschieden?
Nachdem wir im Juni 14 Tage im Kloster Namdroling
gedreht hatten und dann gemeinsam mit Tulku und Teilen seiner Begleitung
nach Kathmandu
geflogen waren, haben die Unwägbarkeiten begonnen. Das gesamte
Gepäck unseres Tonmanns Enno war verschwunden und kam erst 20
Minuten vor dem Weiterflug nach Nepalganj wie durch ein Wunder aus
Indien nach. Dann saßen wir tagelang in Nepalganj fest, weil
die Landebahn in Dunai, die einzige Landebahn im Unteren Dolpo, wegen
schlechten Wetters nicht angeflogen werden konnte.
Für den Marsch ins Obere Dolpo und die Route dort hatten wir
in Abstimmung mit dem Dolpo Tulku einen Reiseplan erarbeitet, der
in der Praxis dann allerdings nicht viel wert war. Tulku musste,
entsprechend den Erwartungen und Einladungen der Menschen, immer
wieder umplanen. Wir mussten darauf so flexibel reagieren, wie das
bei einem so großen Team und unter den gegebenen geografischen
Umständen ging. Dazu kam, dass die Marschzeiten im Dolpo offenbar
entweder für Hochleistungsalpinisten ohne Gepäck oder für
Reiter angegeben werden – jedenfalls wurden aus den „höchstens
ein paar Stunden“ für uns regelmäßig Tagesmärsche
von 14, 15 Stunden. Selbst als wir bereits an die Höhe gewöhnt
waren, gab es immer wieder Etappen, die nicht von allen an einem
Tag bewältigt werden konnten.
Da sich unsere Dramaturgie auf den Reiseverlauf
und die von Tulku zu treffenden Entscheidungen fokussierte, wie
er sein Amt ausfüllen
würde, mussten wir immer gleichzeitig vor, bei und hinter Tulku
und seinem auf über 60 Leute angewachsenen Tross sein. Zum fast
unlösbaren logistischen Problem wurde das, als Tulku und seinen
Begleitern am Eingang zum Oberen Dolpo völlig überraschend
Pferde und Yaks zur Verfügung gestellt wurden. Für uns
bedeutete das, dass wir zu Fuß schneller über den Kang-La-Pass
auf über 5.000 Meter Höhe gelangen mussten als Tulkus berittener
Tross. Letztlich war es eine Frage intensiver Diskussionen und Auswertungen
innerhalb des Teams: wir haben von Tag zu Tag – meistens abends,
nach dem Drehen, in Gesprächen von Zelt zu Zelt – entschieden,
was wir machen und drehen würden.
Wie hat sich das Verhältnis zu
Dolpo Tulku während der
gemeinsamen Reise entwickelt? Durften Sie ihn überall hin begleiten?
Es gab ein großes Vertrauen von Seiten Tulkus, das sich auch
auf seine Begleiter übertragen hat. Wir durften eigentlich immer
dabei sein, auch bei allen Zeremonien und den internen Besprechungen.
Und Tulku stand, wann immer wir es wollten und sein Programm es zuließ,
für Gespräche auch mit der Kamera zur Verfügung. Was über
die Zeit des Drehs offensichtlich wurde, war die ehrliche Überraschung
und Rührung von Tulku angesichts der Intensität der Zuneigung,
die ihm von den Menschen entgegengebracht wurde.
Was ihm ebenfalls zunehmend anzumerken war,
das war eine gewisse Enttäuschung darüber, dass sich im Dolpo seit seiner Kindheit
eigentlich nichts weiterentwickelt hatte. Grundsätzlich war
ihm das auch vorher klar, aber das mit eigenen Augen zu erleben,
war doch etwas anderes, selbst die Töpfe in der Küche seiner
Mutter waren noch die alten. Das hat ihm die Größe der
Aufgabe, vor der er steht, sehr bewusst gemacht.
Von den Bewohnern des Dolpo wurden wir mitunter
etwas schüchtern,
aber immer sehr freundlich und hilfsbereit aufgenommen. Sicher hat
nicht jeder im Einzelnen verstanden, was wir da genau machen – wir
waren in Gegenden, in denen viele, vor allem die Kinder, noch nie
Menschen von außerhalb ihres Kulturkreises getroffen hatten.
Die Gastfreundschaft, der wir begegnet sind, war immer wieder rührend.
Beispielsweise haben die Bewohner einer sehr kleinen Siedlung nahe
eines Klosters nach unserem Dreh jedem im Team nicht nur ein paar
Käserinden und Tsampa als Proviant, sondern auch ein Kuvert
mit Geld für die Reise zugesteckt.
Der Film erzählt von der Zuneigung,
die dem Tulku von den Menschen des Dolpo entgegengebracht werden.
Wie konkret haben Sie die Erwartungen
an ihn erlebt? Gab es z.B. die Erwartung, dass er sich ganzjährig
im Dolpo niederlassen würde?
Ich würde nicht von Erwartungen an den Tulku sprechen, das
wird dem buddhistischen Denken nicht gerecht. Was wir erlebt haben,
war eine große Freude über seine Anwesenheit, die Gewissheit,
dass er gut sei und Gutes bewirken würde, weil sein Vorgänger
gut war – deshalb wurde er ja wiedergeboren. Viele Leute kamen
in tagelangen Märschen von weit entfernten Dörfern, um
den Dolpo Tulku zu treffen und an der Segnung teilzunehmen. Die Bewohner
des Dolpo würden eine Entscheidung eines Tulkus niemals kritisieren.
Sie vertrauen ihm. Und sie wissen sehr gut und darauf, dass er für
das Dolpo in den Wintermonaten außerhalb des Dolpos mehr ausrichten
kann, als wenn er sich sechs Monate hinter die Schneeberge in eines
seiner Klöster zurückziehen würde.
Vielleicht könnte man sagen, dass sich die Freude, die mit
der Ankunft des Tulku verbunden waren, durch das Auftreten und Wirken
des Dolpo Tulku konkretisiert hat. Im Film wird das in den Gesprächen
mit dem Arzt und dem Schulleiter deutlich, dass die Pläne und
Vorhaben des Tulku Hoffnungen bestärken und Menschen motiviert
konnten.
Man spricht davon, dass sich im
Dolpo aufgrund der isolierten Situation ein sehr ursprünglicher
und tief verwurzelter Buddhismus erhalten hat. Wie haben Sie
das im Alltag erlebt?
Wir haben die Menschen im Dolpo so erlebt,
dass sie trotz harter Arbeit und großer Armut eine große, tief erlebte Zufriedenheit
ausstrahlen. Das hat sicher mit dieser Verwurzelung im Buddhismus
zu tun. Die Rituale des Buddhismus sind ein völlig selbstverständlicher
und oft ziemlich zeitaufwändiger Bestandteil des Alltags, das
Aufsagen der Mantras während der Arbeit, das Drehen der Gebetsmühlen...
Die Idee der Wiedergeburt nimmt einerseits die Angst vor dem Tod
steigert gleichzeitig die Bereitschaft, nicht nur das eigene Schicksal
zu ertragen, sondern auch altruistisch zu denken. Es gibt eine große
Nachbarschaftlichkeit und eine Tradition der gegenseitigen Hilfe,
das Vieh wird gemeinsam gehütet, die Yak-Karawanen zum Transport
der benötigten Waren werden gemeinsam durchgeführt. Es
gibt eine Bereitschaft zum Teilen, die ich noch selten so erlebt
habe; wenn wir Kekse an die Kinder verschenkt haben, war es für
die Kinder ganz selbstverständlich, dass alle etwas davon abbekommen.
Wird sich dieser in der Alltagskultur
und dem Denken und Fühlen
der Menschen verankerte Buddhismus halten können, wenn die Modernisierung
das Dolpo erreicht?
Ich wünsche dem Tulku sehr, dass es ihm gelingt, das Dolpo
zu modernisieren: medizinische Versorgung, Schulen, eine Straße
sind absolut wünschenswert und notwendig. Klar ist aber auch,
dass spätestens mit den ersten Fernsehgeräten auch andere
Werte Einzug halten werden. Ich denke, Tulku ist das sehr bewusst.
Er weist im Film ja darauf hin, dass die Lehren des Buddhismus einen
großen Reichtum im Dolpo darstellen, den man nicht verlieren
darf. Und man muss ernstnehmen, dass er als erstes seiner Ziele die
Bestärkung der Mönchsgemeinschaft und den Aufbau einer
Schule für buddhistische Lehre im Dolpo nennt. Ob ihm dieser
Spagat zwischen der Bewahrung des kulturellen Reichtums, des gelebten
Altruismus und den Nebenwirkungen der Modernisierung gelingt, ist
eine spannende Frage.
Was hat die Reise und die Arbeit
mit Dolpo Tulku für Sie persönlich
bewirkt oder verändert?
Die große Ruhe, die Höhe und die körperliche Anstrengung
haben allen im Team gut getan. Irgendwann haben wir angefangen, das
Leben ohne Mobiltelefon, ohne Internet, ohne Autos zu genießen.
Keine überflüssigen Einflüsse mehr, die überflüssigen
Stress verursachen: Das ist eine Erfahrung, die über die Drehzeit
hinaus Bedeutung hat. Ganz allgemein bleibt eine gewisse Gelassenheit:
Welche Relevanz hat unsere Angst vor Bankenkrise oder Schweinegrippe
gemessen an dem Alltag der Menschen im Dolpo, die beide Begriffe
nicht kennen, aber ihr Leben, das täglich ungleich größere
Bedrohungen bereithält, mit einer sehr viel größeren
Zufriedenheit und Ruhe leben?
Und natürlich bleiben besondere Erlebnisse, die außerhalb
des gewöhnlichen Erfahrungsbereichs liegen. Als wir den Kang
La, den letzten hohen Pass über 5.000 Meter, erreicht hatten,
bin ich auf der Suche nach einer besonderen Kameraeinstellung noch
weiter gelaufen, bis ich zufällig einen Packen tibetischer Gebetsblätter
fand. Ich warf sie gemäß der buddhistischen Tradition
in den Wind und wünschte mir dabei Neuschnee und Sonne für
den nächsten Tag. In der Nacht fielen 20 Zentimeter Neuschnee,
und morgens um fünf sind wir auf einen Gipfel oberhalb Kang
La gestiegen, mit Sicht auf unzählige Sechstausender. Es war
Monsun und nicht wirklich wolkenfrei – und plötzlich bricht
die Sonne heraus und der Dhaulagiri-Gipfel taucht auf, ein überlebensgroßer
Anblick. In diesem Moment war ich mir ganz sicher, dass wir dieses
unfassbar schöne Bild den in den Wind geworfenen Gebetsblätter
zu verdanken haben. Und ich bin es noch.